Friday, May 3, 2013

Redende Steine und andere Redner Über das Subjekt in der Poesie

Abstract:
Das Pronomen erster Person hat schwebende Referens, was für die Philosophen zu Paradoxien führt und für die Poeten Möglichkeiten öffnet. Wenn z.B. das redende Subjekt in einem Gedicht behauptet daß es ein Stein ist ensteht eine Unsicherheit die für den fundamentalen Unterschied zwischen
poetischer Diskurs und wissenschaftlicher kennzeichnend ist – die behaltene Unsicherheit.

”Ich bin ein Meilstein und habe meinen Dienst erledigt”[1]

             Diese merkwürdige Zeile kommt vor in  einem  patriotischen Gedichtzyklus - ”Röster från Skansen” von Hjalmar Gullberg. Der redende ist also ein Meilstein aus der Zeit von Karl XI und zwar in dem Freiluftmuseum Skansen in Stockholm noch befindlich . Und im Gedicht behauptet also der Stein dass er ein Stein ist. Redende Steine sind in der Natur selten aber in der Poesie gar nicht so selten,wie man hätte glauben können.Hjalmar Gullberg ist ein Poet , der es verdient hätte mit einer besseren Zeile auf Deutsch introduziert zu werden. Ich habe trotzdem dieses Zitat gewählt weil es so schön die  sprachphilosophisch interessante Verwirrung exemplifiert, die sich einstellt wenn das poetische Subjekt und das reale Subjekt nicht mehr mit einandern vereinbar sind. Wie Jakko Hintikka in einer interessanten Analyse von Descartes Cogito,ergo sum – erklärt;die Schwierigkeit liegt nicht in einem logischen sondern in einem performativen Widerspruch. Wenn ich ein Stein wäre,wie könnte ich das behaupten.
             - Ich bin ein Stein .
             Was kann mann zu einer solchen Behauptung antworten ?
             - Wirklich, -und wie wissen Sie das ?
              Sie lügen! Entweder sind Sie kein Meilstein oder es ist nicht der Fall ,daß Sie reden.Aber wenn Sie nicht reden können – was mit Steine im allgemein der Fall ist – dann können Sie auch nicht lügen.So wenn Gullbergs verfluchter Stein die Wahrheit redet kann es nicht die Wahrheit sein.
             - Du lügst! Du bist kein Meilsten. Steine können nicht reden. Steine können auch nicht lügen.Das Repertoar von Steinen ist überhaupt sehr begrenzt.So – wenn Du kein Stein bist,Du Lügner,was bist Du dann ?
             - Ein Poet, - selbstverständlich.

             Das Feld ist weiter .
             Redende Steine sind in der Poesie und angrenzenden Gebieten gar nicht so selten wie mann hätte vermuten können.  Der Steingast im letzten Akt von Mozarts Don Giovanni  ist ein celebres Beispiel.
             Der Schwedische Poet Gunnar Mascoll Silfverstolpe[2] schrieb  1931 ein Gedicht zu der Weihe von einem öffentlichen Skulptur in Uppsala , gewidmet dem, mit dem Luftschiff Italia umgekommenen Schwedischen Glaciologen, Finn Malmgren.In dem Gedicht wird eine ziemlich bisarre Steingastdramaturgie  insceniert.Der Tode Polarforscher kehrt zurück,aber nun als steinernes Gedenkmal. Wie Mozarts Steingast.
             Ist dies pekoralistisch ? Vielleicht. Ich habe den Eindruck daß Silfverstolpe nicht ganz das Gedicht  unter Kontrolle hat. Aber vielleicht mache ich ihn Unrecht .Sehr viel in Silfverstolpes Werk ist höchst beachtenswert.

             allzu schüchtern bis Du bist du vielleicht
             Denkmal zu sein
             in der Jugend kritischer Stadt
             und schüchtern, gezwungen zu reden:[3]

Die Anrede ist schon furchtlos.
Aber Silfverstolpe bleibt nicht damit.Er legt sogar ein Antwort im Munde von dem als  Statue zurückgekehrten Freund:
             Ich lebte nicht lange,aber niemand sollte       das  Leben reuen, das  wurde mein Schicksal..”[4]
Hier scheint als hätte der Poet ein unmögliches poetisches Subjekt gewählt. Aber in der Poesie ist jedes Subjekt möglich und problematisch nur was es zu sagen hat. Was wir von Gullbergs   Stein der reden kann und von der überhaupt häufigen Verwendung der Poeten von ”Du” – anstatt ”Ich” als Anrede zu dem eigenen Person ist eine wichtige Distinktion.Das Pronomen erster Person und das Subjekt sind zwei verschiedene Sachen.Das Subjekt kann  in allerlei Verkleidungen die Bühne betreten.Und ein undenkbares ein inpraktikabiles Subjekt kann sich hinter das Pronomen erster Person verstecken.Wie ein Stein.
             Der große Hjalmar Söderberg hat einmal die Deutsche (idealistische) Philosophie charakterisiert als ”als der systematische Missbrauch von einer, nur zu diesem Zweck erfundener Terminologie”.
             Etwas ähnliches könnte möglicherweise von der Sprachverwendung in der Poesie behauptet werden.

„Du sagst ‚ich‘ und ‚es geht um mich‘
doch geht es um eine Wette:
In Wirklichkeit bist du niemand.
So ichlos, nackt und formlos ist die Wirklichkeit!
Erschrocken vor ihr begannst du dich zu kleiden,
dich ins Benehmen zu setzen und ‚ich‘ zu sagen,
dich festzuklemmen an einem Strohhalm.
In Wirklichkeit bist du niemand.
Rechtsordnung, Menschenwürde, Willensfreiheit,
alles Bilder vor Schrecken gemalt im leeren Saal der Wirklichkeit,
Schrecken im Anblick von etwas jenseits von Recht und Unrecht,
              jenseits von Satz und Gegensatz!
In Wirklichkeit bist du niemand.“
            
             So schreibt Gunnar Ekelöf, einer der überhaupt grössten Schwedischen Lyriker (1907 – 1968) in seinem  „Nimm und schreib¨in der Sammlung Fährgesang, von 1941.Hier geliefert in vorzüglicher Übersetzung von Hans-Jürgen Lüdtke.
             ”Ich”.
Es ist ein eigentümliches Wort.
Das Pronomen erster Person hat schwebende Referens. Es gleitet herum, es haftet  überall und will doch nirgendswo bleiben.Jeder hat das Recht,sich ”Ich” zu nennen.Und nur einer.Deswegen gibt es auch den Verdacht dass es nirgendswo einen legitimen Zuhause hat.
             Das Pronomen erster Person stellt mehr philosophische Probleme als alle andere Pronomina zusammen. Schwebende Referens ist eine semantische Eigenschaft der Alltagssprache die weder mit  Verschwommenheit wie in ¨dünnhaarig¨noch mit Vieldeutigkeit wie in ¨Bank¨zu tun hat. In Geschwisterschaft mit den anderen persöhnlichen Pronomina ,aber auch mit lokalrelatierten Ausdrücke wie ¨hier¨und ¨jetzt¨ hat dass Pronomen erster Person  mit dem Augenblick gemeinsam das jeder ein Anrecht darauf hat sich ”ich” zu nennen, und nur einer.             Bertrand Russell redet von ¨egocentric particulars¨und behauptet das ”ich” bedeutet ”der Sprechende”.  Wie diese Definition zutreffen soll in dem gar nicht ungewöhnlichen Fall wenn viele auf einmal sprechen, lässt er uns nicht wissen.
             Die Verwandtschaft mit einem anderen wichtigen Pronomen mit schwebender Referens – jetzt – ist offenbar.Hegel nimmt natürlich die Gelegenheit einer dialektischen Auslegung: das Augenblick ist ”das Andere von sich selbst”.Es ist was es ist und doch etwas anderes.Wo Hegel ein dialektisches Aufheben sieht,findet George McTaggart eine fundamentale Paradoxe. Das Augenblick kann nicht auf einmal eine Stelle in einer wohlgeordneter Metrik und sogleich ein ewig flüchtendes Etwas sein das sich in keiner topologischen Ordnung einordnen lässt.Entweder das eine oder das andere.Aber nicht beides.
             versteckt  das Wort ”ich” diesselbe Paradoxie wie  das Wort ”jetzt”? Die  beste philosophische Analyse von dem enfliehenden ich finden wir vielleicht in David Humes ”Treatise”. Bei aenhauer – der viel von Hume gelernt hatte – wird das Ego die Faltstelle, der Nullkorridor  zwischen die Elemente einer Abbildung und das Abgebildete.Bei George Mead schliesslich, ist das Ego eine soziale Konstruktion,eine Produkt von unser Generalisierung von den Erwartungen die wir glauben dass die Andere auf uns stellen. Das ist offenbar Ekelöfs Gedanke.
             ”In Wirklichkeit bist Du niemand”. zzz
 Durch die Sprache spiegelt sich die Welt im Poeten und der Poet spiegelt sich in der Welt.Aber die poetische Sprachbenützung ist in vielen intressanten Weisen verschieden von anderen Typen von Sprechakten.  Die platonische Auffassung in dem  Zehnten Kapitel der Republik ist wie bekannt die dass die Poesie ein irrationales Element enthält.Und das also die Poesie eine Art Bedrohung oder Gefahr gegen das Vernunft darstellt.Und umgekehrt  gibt es die romantische Auffassung fass die Rationalität,die Operationen der Vernunft in irgendeiner Weise die Poesie bedroht.
             Es scheint mir genau so unrealistisch als hätte mann behauptet dass die Tischlerei in irgendeiner subtiler Weise die Ölmahlerei bedrohen könnte.
              
             In der Naturwissenschaft oder in der Nationalwirtschaft strebt der Diskurs danach uns von dem subjektiven mentalen Raum  uns zu bringen zu einem neutralen .  Die Sprache der Wissenschaft ist eine  Sprache der dritten Person.Die rationalle Sprachen in Wissenschaft und Technik schaffen einen neutralen sprachlichen Raum zu dem Preis einer verlorenen unmittelbaren Qualität. Die poetische Sprache schafft auch einen öffentlichen Raum aber zu dem Preis von einer Athentizität die immer in Frage gestellt werden kann.
              Das Ergebnis der gelungenen poetischen Operation – also die Analoge von dem konklusiven Beweis in der Mathematik – ist eine festgehaltene Erfahrung.Es ist genau das subjektive in der Erfahrung ,das durch die poetische Prozesse eine Art Objektivität bekommen hätte. Der poethische Ausdruck einer Erfahrung behält im idealen Fall immer ein Bischen Zweideutigkeit.
             Wie findet dieser Übergang statt ? Was kann das Gedicht behalten und was muss es verwerfen ? ”Bald ruhest
Du auch.” ist nicht selbstverständlich. Theoretisch gesehen hätte Goethe ”Bald ruhe ich auch” schreiben können.Und dabei hätte er ein Meisterwerk in eine Banalität verwandelt.

             In den Künsten spielt Vieldeutigkeit immer eine wichtige Rolle.Das Ackord bei dem späten Beethoven sagt uns oft was für ein Ackord es ist erst wenn es in dem Zusammenhang einer Ackordfolge gelandet ist ,eine grüne Fläche auf der Kanvase verändert radikal ihren Ausdruck wenn wir es mit Rot umgeben.
             Ein, wie es vorkommen kann,unwichtiger Replik in dem Anfang eines Romans enthält den Schlüssel zu allem was später stattfinden soll.
             Das schwebende ,nocht nicht entschiedene ,das was nur nachher erzählen kann wohin es wollte ,ist das geheime Zentrum des Gedichts.Der gute Poet versteht es ähnlicherweise die Dingen im Schweben zu halten. 

 Die Wahrheit von der Welt ist nicht eine Haltestelle. Sie ist eine Prozesse.

(Plenarvorlesung in der Akademie der Wissenschaften und der Literatur.Mainz 18.4.2013)



[1] ” Jag är en milsten som har gjort sin tjänst”

[2] 1893-1942
[3] För blyg är du kanske att vara staty
i ungdomens kritiska stad
och blyg,när du tvingas att tala
[4] Jag lefde ej länge,men ingen
får ömka sig öfver det lif,som blef mitt.

Übersetzung L G

1 comment:

  1. Vielen Dank für diese Gedanken, die beim Schreiben und Lesen immer da sind, und die Hinweise auf die Autoren. Auch Julio Cortázars Erzählungen lassen erschauern, wenn sich in ihnen die Realität auflöst und erst dadurch Schönheit und Wahrheit bekommt. Im poetischen Spiel gibt es sie!
    Ich selbst habe vor vielen Jahren im Goldmann Verlag eine Erzählung veröffentlicht: „Mein Leben als Stein.“
    http://www.carstenklemann.de/41285.html
    Sie ist nicht besonders gut, aber hat auch versucht, dem Stein Ausdruck zu geben.

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