In den Biographien der Poeten,wie in den Leben von den grossen Mahlern, sind die Ortswechsel nicht versäumbar.
Der Umzug von der sehr friedlichen ehemaligen Priesterwohnstelle in Tjöme auf der Südseite von dem Oslofjord zu Fregestrasse in Berlin, Ende der sechziger Jahren,muss für Hans Magnus Enzensberger eine grosse Veränderung gewesen sein. Wer nicht den Oslofjord im Winter gesehen hat,hat wenig Ahnung wovon wir reden.Dr Enzensbergers in Presse-Interviews abgegebene Erklärung dass er gerne in Norwegen lebe,weil das Land kein Kulturleben habe,war vielleicht nicht ganz diplomatisch.Aber merkwürdigerweise war Mang – wie wir ihn damals nannten - nicht nur acceptiert sondern allgemein populär in einer Bauer- und Fischerbevälkerung die noch lebhafte Erinnerungen von der Deutschen Ockupation im Gedächtnis hatten.
Diesgehört zu Hans Magnus Enzensbergers viele Talenten;er kann mit sehr verschiedenen Menschen ganz gut umgehen.Es hat vielleicht etwas zu tun mit seiner oft bekanntgegebene Überzeugung dass ein Afrikanischer Nomadenlager nicht exotischer ist als ein Fischkonservenfabrik in Norwegen.
Hans Magnus gehört zu jenen jungen Autoren der Deutschen Nachkriegsgeneration die jedes Land eigentlich wie ein fremdes Land erlebten.Und die – als Folge – in sehr vielen Ländern sich sehr gut ausgefunden haben, wie Uwe Johnson in Manhattan und Dr Enzensberger bei dem Osloer Fjord. Die Deutschen Kollegen der Periode hatten ein fast epidemisches Interesse für Landkarten und Kursbücher ,als wäre die Geographie ein einziges grosses Gedicht ,das gelesen und verstanden werden musste. Die waren schon in Enzensbergers Generation beschäftigt mit der Vermessung der Welt.
Doch,in zwei verschiedenen Schritten kam Hans Magnus nach Hause,erst nach Berlin zu der Zeit der antiautoritären Bewegung, und dann nach München zur Zeiten der allgemeinen Zunüchterung von derselben Bewegung.
Es wurde ohne Zweifel leichter ,- Mang in Berlin zu besuchen als in Tjöme . Und das obwohl der Abstand von Mittelschweden grösser geworden war.Zu den stoltz demonstrierten Habseligkeiten in dem neuen Haus in der Fregestrasse gehörte ein sehr massiver altbürgerlicher Geldschrank,sicher von einem Gewicht von einem Tonn oder viellecht mehr ,ein Meisterstück in seiner Art , ein Kennzeichen symbolischer Würde und Solidität.Mang hegte die Hoffnung, hier einen eleganten Bar aufzubauen mit allen den spannenden Flaschen in verschiedenen Farben und Formen die zu einem solchen Wohndetail hören.
Der Gedanke war gut, aber liess sich nur teilweise realisieren,weil die Legionen von besuchenden Skandinavischen Journalisten immer mit auffallender Leichtigkeit unter umständlichen Interviews den Inhalt des Schrankes leeren konnten.
In dem Leben eines Dichters sind die Umzüge auch dichterische,intellektuelle Ortswechseln.
Schluss mit den unzähligen Science Fictionromanen die auf Tischen und Stühlen in Tjöme herumlagen,Schluss mit der Kahlschlagslyrik.Mit dem Umzug nach Berlin wurde die Lyrik weniger lakonisch,es wurde vielmehr Polemik,Diskussion,Diskurs.Die eben geborene Zeitschrift Kursbuch ging von melankolischen oder kuriosen idéehistorischen Betrachtungen zu Rapporten über die Ökonomie auf Kuba und in der Fregestrasse konnte mann allerlei Menschen treffen. Fast zu viele für den Geschmack von einigen.
Die Winternächte wurden voll – von allerlei Rauch und voll von vielen nicht immer korrekten Gedankenaustäusche.
Ich erinnere mich dass Mang sehr stoltz darauf war in einer Strasse zu wohnen,derer Name mit einem grossen Intellektuellen,der Verfasser der ”Grundlagen der Arithmetik” , Gottlob Frege,verbunden war. Dieser Glück dauerte ein Par Jahren biesdem es klar wurde, dass die Strasse ihre Name ,nicht von Gottlob Frege,sondern von einem populären lutheranischen Pastor Frege, aus dem neunzehnten Jahrhundert, stammte.Mang war enttäuscht,als Rationalist und Mathematikenthusiast.
Damals,in Berlin,gab es nicht selten kleine Taufritualen,wo verschiedene Strassen neue Namen bekamen, oder einfach ihre alte Namen zurück bekamen.Hermann Göringstrasse dürfte nicht mehr so heissen und Gartenstadt Grunewald bekam wieder ihre Rathenaustrasse. In dieser Situation habe ich Mang vorgeschlagen,sich für noch eine offizielle Zeremonie zu einsetzen , wo die Fregestrasse zu ”Fregestrasse”in feierlichen Formen umgetauft werden sollte.
Dieser Vorschlag wurde abgewiesen.
Ich habe vorigen Herbst festgestellt, dass der Schrank nach München in dem nächsten Umzug – das ist auch schon ganz lange her – mitgekommen ist.Was der alte solide Schrank jetzt versteckt und beschützt weiss ich nicht so genau.
Mit Hans-Magnus kann mann über praktisch alles reden.Über Brentanos Ästhetik,über finnische Gegenwartsliteratur und über Kneipen in Berlin. Über die überall anwesenden Fibonnacizahlen und Fermats Vermutung,über Gott – der eine überraschend grosse Rolle in seinen Gedichten spielt, und über den Teufel.Der letzte tritt in verschiedenen Jahrzehnten in verschiedenen Verkleidungen auf .Aber wird früher oder später entlarvt.
In seinem angenehmsten Form tritt er aber auf als der Zahlenteufel,ein mit Minirechner ausgerüsteter kleiner Kobold, der sich ungewöhnlich gut auskennt in den Labyrinthen der numerischen Analyse und der wohl jetzt hundertausende von kleinen Jungen und Mädchen verschiedener Länder von Zahlenschrecken befreit hat.
Es gibt nur zwei mir bekannte wirkliche wichtige Europäische Schriftsteller, mit denen mann in sinnvoller Weise über Mathematik reden kann:Hans-Magnus Enzensberger und Peter Esterhazy.
Der Zahlentäufel bleibt ein Juvel under Kinderbüchern .Um so etwas zu schreiben muss mann zwei Eigenschaften vereinen die bei wenigen zusammen vorkommen:ein Talent für Mathematisches Denken und etwas spielerisches,das mit einer innerer Freiheit zu tun hat.
Nur einmal, ist es mir gelungen Hans Magnus in einer mathematischen Frage ein Bischen zu korrigieren:
Wir befanden uns bei dem lieben Kollegen,Professor Seebald zu einem Übersetzertreffen in University of East Anglia,Norfolk eingeladen.
Jemand hat vorgeschlagen,ein Bischen optimistisch vielleicht, das jeder von den Anwesenden Autoren, ein Gedicht oder eine kleine Prosa von jedem von den Anderen Anwesenden übersetzen sollte, - ich glaube um ein geignetes Material für Diskussionen zu schaffen.
- Der Gedanke ist nicht besonders klug,hat Hans-Magnus mit der ihm kennzeichnende Aufrichtigkeit,gesagt.
Der Vorschlag ist unklug und sogar unrealistisch;wir sind zwölf Teilnehmer;das wird Fakultät Zwölf Übersetzungen.
- Was es natürlich nicht wird.Denn Niemand übersetzt sich selbst zu sich selbst .
Das mathematische bei Dr Enzensberger hängt eng zusammen mit dem spielerischen in seinem Karaktär. Ich kenne niemand,der so viele lustige Spielsachen besitzt.Die meisten sind klein und raffiniert.Einige sind ganz gross und kompliziert,z.B. Dr Enzensbergers Poesiemaschine.
Was der alte solide Schrank jetzt versteckt und beschützt weiss ich – wie schon gesagt - nicht so genau. Vielleicht sind es Spielsachen. Vielleicht eine Komödie im Stil Eugene Labiche ?
Kleine,lustige mechanische Spieldinge so wie mann sie in alten Läden in abwegigen Strassen in grossen Städten findet,alte Dosen auf die nette kleine Tanzerinnen zu spröden Melodien tanzen, Motorräder von lithograpiertem Blech, pariser Busse aus dem Jahre 1920.Hans Magnus Spielsachen haben mit den Jahren in Format zugenommen.Die bisher grösste ist wohl die Poesiemaschine,die jetzt ,von Schwäbisch Hall und der generösen Würthstiftung nach Marbach umgezogen,weiterschreibt und theoretisch bis in die Ewigkeit mit der Hilfe von Vokabular,Program und die Zufallszahlen aus dem Telephonbuch von Berlin sein endloses Gedicht – ohne Müdigkeit und ohne Zögern – produziert.
Mit Alfabethen kann mann vieles tun.Das wussten die Herren Turing und Kurt Gödel und das wissen die Poeten.
Das Interesse für Spielsachen sieht mann nicht selten bei detronisierten Fürsten.In seinem ”Entwurf zu einer Poesiemaschine” erwähnt Mang ungefähr,dass er auf die Idée zu der Poesiemaschine in einer Periode gekommen ist,wo er die offenbare Aussichtslosigkeit von den politischen Utopien der antiautoritären Bewegung eingesehen hat.
Vielleicht ist es so dass wir alle solche kleine,manipulierbare Welten ,Minimalregionen von Sinn und Zusammenhang in einer scheinbar sinnlosen und scheinbar kontradiktorischen Welt brauchen.
Und – abentuerlicher Gedanke – vielleicht ist die Poesie eine von diesen Spielregionen ? Eine Experimentalwerkstatt für das Leben ? Für mögliche und eigentlich nicht mögliche Erfahrungen ?
Vielleicht war mein Einwand in Norwich gegen Fakultät Zwölf doch ein Bischen zu schnell:Poesie schreiben – bedeutet das vielleicht doch:sich selbst in sich selbst zu übersetzen ?
Hans Magnus Enzensbergers Werk ist möglicherweise eine solche Übersetzungsprozesse.
Sein umfassendes essäistisches Werk spielte in Jahrzehnten für viele von uns die Rolle einer intellektuellen Reinigungsanlage.Ich darf wohl nur solche Erfindungen wie der Begriff ”Bewusstseinsindustrie”, erwähnen.
Vieles dass uns damals ,in den Berliner Jahren hochintressant und wichtig erschien - z. B. das ”Verhör von Havana” und vieles was im Kursbuch zu lesen war – ist jetzt mit einer sehr veränderten Weltsituation so weit ins ins Hintergrund getreten als gehörte es einer anderer Welt. Was von dieser Prosa bleibt ist ein gross angelegtes Versuch die europäische Wirklichkeit und dei europäische Voraussetzungen der Jahrhundertwende zu begreifen.
In einem Gespräch mit Holländische Studenten in Rotterdam bei der Poetry International das ich zufälligerweise abgehört habe ,bekam Mang die intressante Frage ”Wie unterscheiden sich eigentlich prosa und Poesi ? ”Seine Antwort ,schnell,kurz und eigentlich erschöpfend – die Poesie har ein Freiheitsgrad mehr als die Prosa. Mit dem eigentlich von der Topologie stammenden Begriff Freiheitsgrad meint mann ja die Anzahl von Bewegungsrichung in denen etwas gefaltet oder gebeugt werden kann,ohne zu zerreisen.So hat ein Schultergelenk ein Bewegungsgrad mehr als ein Knie.
Man könnte den Begriff ,nicht nur auf Hans-Magnus Poesie,sondern auf sein ganzes Werk anwenden. Es hat die Beweglichkeit von Poesie auch wenn es nicht Poesie ist.Er ist,was ein seltener aber wertvoller literarischer Tugend ist,immer imstande, sich selbst und seine Positionen in Frage zu stellen.
In der Poesie wird diese Beweglichkeit sichtbar als eine Vereinigung von Rationalität und Mystik,als eine Tonlage die man als existentialistisch beschreiben könnte:
”Alles ist möglich.Auch dass wir noch nicht Tot sind ”
heisst es in dem ”Sommergedicht”- ,geschrieben im Schatten der nuklären Bedrohungen der frühen sechziger Jahren ,aber eigentlich in jedem Augenblick von jedem Leben aktuell.
Was bedeutet das:”dass wir noch nicht tod sind” ?
Eine nüchterne Feststellung dessen Negation nicht möglich wäre.Eine Mahnung das Leben zu leben,zu Liebe,zu Neugier,zu Hoffnung ?
Alles das.Und mehr.
Key note Lecture at Enzensberger Colloquium,Marbach, Deutsche Literaturarchiv 27.3.2009
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